In der vergangenen Woche hat sich eine Delegation des Europäischen Parlamentes geleitet vom Österreicher Josef Weidenholzer (S&D Gruppe), der Deutschen Cornelia Ernst (GUE/ NGL), der Niederländerin Marietje Schaake (ALDE) und der Portugiesin Ana Gomes (S&D Gruppe) in die Region Kurdistan begeben, um sich vor Ort ein Bild von der humanitären Situation der Flüchtlinge zu machen Begleitet wurde die Delegation von parlamentarischen Mitarbeitern, österreichischen Journalisten und Akademikern und dem KRG Repräsentanten in Österreich, Dr. Mustafa Ramazan.
In der Region Kurdistan traf die Delegation unter anderem mit Dr. Fuad Hussein, Stabschef von Präsident Massoud Barzani, Abgeordneten die im Regionalparlament Kurdistans Minderheiten vertreten und der Führung der Jesiden im Heiligtum Lalesh zusammen. Darüber hinaus wurden die europäischen Parlamentarier vom Bürgermeister der Stadt Dohuk, Farhad Atroushi, empfangen und besuchten das Flüchtlingscamp Xanke, das rund 90.000 jesidische Flüchtlinge beherbergt, ebenso wie Vertriebene, die auf der Straße leben.
Alle vier Abgeordneten gaben nach ihrer Rückkehr in persönlichen Erfahrungsberichten und im Rahmen einer Pressekonferenz an, schockiert gewesen zu sein, über das Ausmaß an Gewalt, das von der IS an den religiösen und ethnischen Minderheiten verübt wurde.
So berichtet Josef Weidenholzer in seinem Blog von Frauen und Mädchen, welche entführt wurden und entkommen konnten: „Sie wurden regelrecht versklavt, verkauft wie Tiere, von ihren „Eigentümern“ misshandelt und vergewaltigt. Manche waren kaum älter als zehn Jahre. Sie mussten entsetzliches mitmachen und werden wohl ihr ganzes Leben darunter leiden.“
Marietje Schaake beschreibt ein Einzelschicksal: „Ein 17 jähriges Mädchen erzählte uns, wie sie zahllose Male von den Jihadisten weiterverkauft wurde und wie jeder Versuch sich zu widersetzen mit Folter bestraft wurde“. Cornelia Ernst gab an: „Die Frauen sind schwerst traumatisiert, wenn sie zu ihren Familien zurückkehren. Sie haben dringend professionelle Hilfe nötig, die sie im Irak einfach nicht erhalten können. Ich fordere, dass diesen Frauen der Aufenthalt in Europa ermöglicht wird, damit sie hier bei uns die nötige medizinische und psychologische Behandlung bekommen können.“
Die allgemeine humanitäre Lage beschreibt Josef Weidenholzer als eine „sehr, sehr schwierige, (…) Kurdistan hat fünf Millionen Einwohner und es sind ungefähr 1,6 Millionen IDPS (also „internally displaced persons“) in der Region zusätzlich zu 200.000 Flüchtlingen aus Syrien, man kann sich also vorstellen, wie schwierig die Situation ist.“ Marietje Schaake bezeichnet die Lage als „humanitäres Desaster“. „In den Flüchtlingslagern sehen wir Kinder, die barfuß auf dem gefroren Boden laufen. Kleine Zelte werden von zehnköpfigen Familien bewohnt“, so die Niederländerin.
Alle vier Abgeordneten rufen zu einem Politikwechsel und mehr Unterstützung seitens der EU auf. In der gemeinsamen Pressekonferenz fordert Marietje Schaake eine Aufstockung der finanziellen Mittel, ebenso wie jene Staaten in die Pflicht zu nehmen, welche die Bereitstellung von Mitteln versprochen aber noch nicht realisiert haben. Weidenholzer beantwortet die Frage einer Journalisten der Salzburger Nachrichten nach den notwendigen finanziellen Mittel: „Ich möchte nur eine Zahl in den Raum stellen, die sich in dieser Region abspielt: Die Fußball WM in Katar kostet 12 Milliarden Euro, das kann man offensichtlich auftreiben. Wir reden hier [für Kurdistan, Anm.] von 60 Millionen EU-Mittel und etwa 120 Millionen zusätzlich von der internationalen Gemeinschaft.“
Weitere Forderungen brachte auch die Deutsche Cornelia Ernst hervor, nämlich die Anerkennung der Verbrechen an den Jesiden als Genozid, die bereits erwähnte Soforthilfe für traumatisierte Frauen, sowie der aktive Schutz von Minderheiten im Irak durch die Europäische Union. Die Portugiesin Ana Gomes fügte weiterhin hinzu, dass Europa, gerade angesichts der Anschläge in Paris, einen größeren militärischen Beitrag leisten sollte, ebenso wie dabei helfen müsse, die über 5.000 verschleppten Frauen aus den Fängen der IS zu befreien und dass IS vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden müsse.
Für die Region Kurdistan fanden die Delegationsteilnehmer durchwegs positive Worte. Josef Weidenholzer schreibt in seinem Blog: „Die Autonome Region Kurdistan ist gleichsam der Außenposten jener Welt, für die die Menschenrechte konstitutiv sind. Hier bekommt der abgenutzte und so oft missbrauchte Begriff der Freien Welt plötzlich eine elementare Bedeutung. Weil hier unsere Freiheit verteidigt wird. (…)Die Solidarität in der einheimischen Bevölkerung ist überwältigend. Ohne ihre großherzige Unterstützung wäre es nicht möglich, diese Herausforderung zu meistern.“ Cornelia Ernst schreibt: „Irakisch-Kurdistan ist die einzige Region, in die Angehörige der verschiedenen Minderheiten, wie Christen, Jesiden, Shabak, flüchten können. Auch wenn es dort an allem Nötigen fehlt, kann dies kaum genug gewürdigt werden.“
Nachfolgend finden Sie die Pressekonferenz der Abgeordneten, sowie die Links zu den persönlichen Erfahrungsberichten und ausgewählte Medienberichte über die Reise.
(Alle Fotos © KRG Austria)