Wichtige Vertreter der Privatwirtschaft kamen zur Öl- und Gaskonferenz, welche von 30. November bis 2. Dezember in London abgehalten wurde. Folgend der Wortlaut der Rede von Qubad Talabani, dem Vizepremierminister der Region Kurdistan-Irak.
Guten Morgen sehr geehrte Damen und Herren.
Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme an dieser wichtigen Konferenz in so schwierigen Zeiten wie diesen und für Ihre andauernde Unterstützung für unsere Entwicklung, trotz aller Herausforderungen die uns gegenüberstehen. Wie Sie alle wissen, hat Kurdistan Investoren und der internationalen Gemeinschaft eine Menge zu bieten.
Zugleich ist es uns bewusst, dass Geschäfte nicht im Vakuum geschehen und Handel mit der KRG zu treiben ist heute Teil von etwas Größerem – vor allem da Energie und Wirtschaft untrennbar mit Sicherheit verbunden sind.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen berichten, dass alles gut ist und dass Kurdistan lebhaft und wachsend ist, wie in der Vergangenheit. Aber Ihr Engagement in der Region, Ihre Investitionen und Ihre Partnerschaft und Freundschaft verhindern, dass ich heute vor Ihnen stehe und Ihnen sage, dass alles in Ordnung ist.
Die Lage ist derzeit weit davon entfernt, in Ordnung zu sein.
Aber ich werde Ihnen heute sagen, dass ich zuversichtlich bin, dass wir gemeinsam diese Herausforderungen überwinden können. Und ich werde einige der Möglichkeiten umschreiben, wie wir die Lage wieder in Ordnung bringen – und besser machen – können.
Kurdistan wird heute von einer Reihe von Krisen geprüft. Sicherheitstechnisch, humanitär, politisch und natürlich wirtschaftlich.
Ich muss gestehen, ich bin stolz, dass wir diese Krisen in Chancen umwandeln, um auf unsere Defizite einzugehen und um sie auszubessern zu können.
Dank der heroischen Einsätze der Peshmerga-Truppen und der wichtigen Unterstützung der internationalen Koalition gegen Daesh, ist Kurdistan heute ein sichererer Ort.
Unsere Truppen schafften es, den anfänglichen Schock, ausgelöst durch die Angriffe von Daesh gegen Kurdistan, zu überwinden und heute sind unsere Truppen deutlich effektiver, besser organisiert und fest entschlossen dem Terrorstaat der sich selbst Daesh nennt, entgegenzutreten.
Mit der andauernden Unterstützung und Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft und dem Vertrauen unserer Partner in diesem Raum können wir wichtige Fortschritte gegen die Bedrohung, die von Daesh ausgeht, erreichen.
Wie Sie in Paris, Beirut, Sinjar und anderen Gebieten gesehen haben, nehmen diese Terroristen vor nichts Halt um Tod und Terror zu allen Menschen überall zu bringen.
Unsere gemeinsamen Werte des Lebens, der Freiheit und der Moral verpflichten uns, diese Terroristen zu besiegen.
Kurdistan hat sich auch der Herausforderung gestellt, über 1,8 Millionen syrische Flüchtlinge und Binnenvertriebene aus vom Konflikt betroffenen Regionen im Irak aufzunehmen.
Heute ist Kurdistan ein sicherer Hafen für all jene, die aufgrund ihrer Identität vor Gewalt fliehen müssen.
Jene, die Sicherheit suchen, wurden vom kurdischen Volk willkommen geheißen und sie erhielten Nahrungsmittel, Unterkunft und Hilfe von der KRG.
All dies geschah trotz der geringen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und fast keiner Hilfe der Zentralregierung des Irak.
Diese humanitäre Krise hat die Bevölkerungsanzahl unserer Region um 30% erhöht und ich bin stolz – wenn auch nicht überrascht – über die Toleranz, Gastfreundschaft und Akzeptanz des kurdischen Volkes gegenüber diesem noch nie dagewesenen Zustrom in so kurzer Zeit.
Unsere Polizei und Sicherheitsdienste zeigen beinahe null Vorfälle von durch Hass oder Rassismus motivierten Verbrechen gegen die Binnenvertriebenen und Flüchtlinge.
Seit kurzem sieht sich Kurdistan auch mit einer internen politischen Krise konfrontiert. Streitigkeiten zwischen politischen Parteien in Bezug auf die Amtszeit und Mächte des Präsidenten, Diskussionen bezüglich der Parlamentspräsidenten und dem Kabinett haben eine kritische Phase erreicht.
Aber ich glaube, dass das Schlimmste hinter uns liegt. Diese politischen Dispute waren und werden auch weiterhin ein Teil des kurdischen politischen Lebens bleiben. Alle Parteien haben sich eingeschworen, diese Konflikte durch Dialoge und Verhandlungen zu lösen.
Wir müssen unseren Verpflichtungen gegenüber treu bleiben und unserem Volk und unseren Freunden auf der ganzen Welt beweisen, dass wir solche politischen Herausforderungen auf eine zivilisierte und demokratische Art und Weise bewältigen können.
Aber von all diesen Krisen ist es die wirtschaftliche, welche die größte Bedrohung für die langfristige Zukunft Kurdistans ist – und welche auch die meiste Zeit der Regierung beansprucht.
Die Wirtschaftskrise in Kurdistan wurde von einem „Dreifach-Schock“ ausgelöst:
Erstens, das unentschuldbare und nicht zu begründende Beenden der Budgettransfers der Zentralregierung des Irak im Februar 2014, welches dann, zweitens, vom Konflikt mit Daesh im Sommer 2014 gefolgt und drittens, vom Ölpreisrückgang noch gefestigt wurde, welcher 2015 hindurch anhielt.
Diese Schocks sind verantwortlich für den starken Rückgang in der wirtschaftlichen Aktivität in Kurdistan und haben uns große Schwierigkeiten bereitet, finanzielle Verpflichtungen termingerecht einzuhalten.
Allerdings ist der tiefere Ursprung dieser Krise bereits in 2013 sichtbar gewesen:
Zu einer Zeit wo der Ölpreis noch über $100/bbl lag und budgetäre Transfers, wenngleich unvollständig, noch aus Bagdad eintrafen, war der Staatshaushalt im Defizit von ungefähr 1,7 Billionen irakischen Dinar. Sogar damals lebte Kurdistan jenseits seiner Kapazitäten.
Darüber hinaus war die kurdische Wirtschaft beinahe vollständig abhängig von irakischen Öl-Exporten.
Da wir es verabsäumten während dieser „Boom-Jahre“, wo der Ölpreis noch hoch war, in eine Diversifikation der Wirtschaft zu investieren, durch eine Stärkung der Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Tourismus, um die Produktion zu erhöhen und um Arbeitsplätze zu schaffen, war Kurdistan unvorbereitet als die erste Welle des Dreifachschocks uns im Frühjahr 2014 traf.
Um Gehälter und Pensionen auszahlen, den Krieg mit Daesh finanzieren und um die unzähligen Flüchtlinge und Binnenvertriebenen versorgen zu können wurden andere Regierungsausgaben beschnitten.
Öffentliche Investitionen in Straßen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen wurden ausgesetzt. Trotz der Anstrengungen unserer Regierung kam es zu Rückständen bei den Zahlungen für Regierungsmitarbeiter, Pensionisten und Privatpersonen.
In 2014, als direkte Konsequenz der Beschneidung der Budgetzahlungen aus Bagdad, verzeichnete die KRG ein Defizit von ungefähr 8 Trillionen IQD ($ 6,5 Mrd.; € 6,1 Mrd.).
Dies wurde durch Vorschüsse des lokalen Bankensystems, bilaterale Kredite und Terminverkäufe von Öl und Ölprodukten finanziert. Durch das Ausbreiten der Schockwelle in 2015 wurden auch die Haushaltsungleichgewichte immer größer.
Eine neue Budgetvereinbarung mit Bagdad erweckte Hoffnungen im Frühjahr 2015, aber diese wurden bald wieder aufgegeben, da sich die Zentralregierung nicht an seine Zahlungsverpflichtungen hielt.
Lassen Sie mich hier Klartext sprechen: Bagdad hat mit Sicherheit seine eigenen finanziellen Schwierigkeiten – aber es waren ihre eigenen politischen und finanziellen Gründe, die sie zur Entscheidung führten den einfachsten Weg zu gehen, nämlich die KRG weiterhin nicht zu versorgen, während die Zahlungen an nicht-kurdische Gebiete im Irak, inklusive jener, die von Daesh kontrolliert werden, aufrecht blieben.
Ich wiederhole heute, was wir schon zu vielen Anlässen gesagt haben: Wir bevorzugen immer noch eine Übereinkunft mit Bagdad und sind jederzeit bereit dafür.
Aber Bagdad hat uns keinen anderen Ausweg erlaubt, als den Weg zu beschreiten, den wir gingen.
Wir mussten unseren eigenständigen Öl-Export ausweiten. Und dankbarer weise, wegen der Unterstützung von vielen von Euch in diesem Raum, und natürlich wegen der Anstrengungen unseres unermüdlichen Ministers für Ölangelegenheiten, Ashti Hawrami, haben sich unsere Exportkapazitäten erhöht und unser Öl hat seinen Weg legal auf den Markt gefunden.
Aber trotz dieses Fortschrittes ging der Ölpreis weiterhin nach unten und unser Haushalt verschlechterte sich.
Ein Defizit für 2015 wurde bei IQD 2-3 Billionen vorhergesagt, was besser als in 2014 ist, aber immer noch sehr hoch ist.
Heute ist es offensichtlich, dass die finanzielle Lage der KRG unhaltbar ist und dass es große Reformen brauchen wird, um wieder eine ausgeglichene Zahlungsbilanz zu erreichen.
Wir können uns nicht aus der Lage borgen, und ein weiterer Aufbau des Schuldenberges ist nicht akzeptierbar.
Finanzielle Nachhaltigkeit hat nicht nur Priorität, sie leuchtet auch den Weg für eine stärkere, solidere Wirtschaft Kurdistans in der Zukunft.
Wirtschaftliche Stärke ist die Hauptquelle für lang anhaltenden Frieden, Wohlstand und Stabilität für unser Volk und die Region.
Daher hat meine Regierung drei Reformpunkte identifiziert; diese Punkte erzeugen Reaktionen in anderen Gebieten, so wie die Mobilisierung von nicht-Ölgewinnen und weiteren Beschneidungen von nicht-gehaltsbezogenen Verwaltungsausgaben.
Der erste Punkt ist die Restrukturierung von Ausgaben. Im Speziellen wollen wir ein nachhaltigeres Gehalts- und Pensionssystem schaffen.
Es ist bekannt, dass beinahe 70% des Budgets in Kurdistan in das Gehalt und die Pensionen von Beamten fließen.
Dies ist nicht nachhaltig. Daher zieht unsere Regierung eine Vielzahl an Optionen in Betracht, um die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren – im Speziellen Gehälter und Pensionen.
Hier legen wir besonderen Fokus auf den Schutz jener, die am unteren Ende der Lohnskala sind, und auf eine Adjustierung der Zuschüsse für jene, die weiter oben auf der Skala zu finden sind.
Wir analysieren auch die Reformmaßnahmen, welche von der Zentralregierung angekündigt wurden, und – sofern notwendig – werden auch diese umsetzen.
Der zweite und der dritte Punkt betreffen eine Reform des Öl- und des Stromsektors. Diese profitieren von vielen Subventionen, gezahlt von der KRG. Zum Beispiel liefert die KRG ohne Bezahlung Diesel und Erdgas an unabhängige Stromproduzenten.
Die Subventionen in die Elektrizität kosten die KRG im Jahr mehr als 3 Milliarden Dollar, der Strompreis ist niedrig und Abrechnungen und Einziehungen werden schwach umgesetzt. Trotz der Anwesenheit von privaten Raffinerien und Stromerzeugern plant die Regierung eine zentrale Rolle in der Administration der Ölproduktherstellung sowie der Elektrizität einzunehmen.
Reformoptionen werden überlegt, und einige sind bereits am Weg der Realisierung, um Subventionen für Ölprodukte und Stromerzeugung zu reduzieren, während gleichzeitig sichere Lieferung für die Konsumenten garantiert bleiben soll.
Die KRG realisiert außerdem Pläne um die Rolle der Regierung in diesen Sektoren zu reduzieren, um sich mehr auf international standardisierte Regulierungen zu konzentrieren, während privates Investment forciert werden soll.
Unser Volk hat sich an großzügige Staatssaläre und Zuschüsse gewöhnt; dies sind Vorteile und Subventionen, welche von Öleinnahmen finanziert wurden.
Aber was bei einem Ölpreis von $100/bbl gerade noch leistbar war, ist bei einem Preis von $40/bbl nicht tragbar.
Wir haben weder automatische Anpassungsfaktoren bei Regierungszahlungen eingebaut, welche auf den niedrigeren Ölpreis reagieren würden, noch genug gespart oder investiert, im Speziellen in Bezug auf privates Investment im nicht-Hydrokarbonbereich, um uns das leisten zu können. Aber jetzt ist die Zeit für Veränderungen gekommen, und wir werden reformieren.
Wirtschaftliche Reform ist notwendig, auch wenn sie nicht leicht ist. Wir wissen, dass wir dies nicht alleine schaffen. Wir haben die Regierungen von Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Europäischer Staaten um technische Hilfe gebeten, um mit der Finalisierung der Reform beginnen zu können.
Die Reform ist wichtig um unsere Stabilität aufrecht zu erhalten und um unseren Erfolg zu garantieren.
Trotz der scheinbaren Größe der Herausforderungen, die uns gegenüberstehen, bin ich optimistisch, dass wir, mit unserer Entschlossenheit, diese Budgetären Herausforderungen überwinden werden; unseren Haushalt ausgleichen werden; einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften werden und die zeitgerechten Zahlungen für unseren öffentlichen Sektor und unsere Partner im Privatsektor, im Inland wie auch im Ausland, baldigst wieder aufnehmen werden können.
Zur gleichen Zeit erhöhen wir unsere nicht-ölbezogenen Einnahmen.
Wir suchen Wege, Kapital gewinnbringend anzulegen bzw. zu monetisieren, inklusive unseres Öl-Kapitals und der dazugehörigen Infrastruktur. Wir analysieren unser Steuersystem und wollen die Strompreise für große Firmen und jene Industrie, welche einen großen Bedarf an Strom haben mehr an Industriestandards anpassen.
Wir werden unsere Rückstände weiterhin an internationale private Mineralölkonzerne auszahlen, damit auch weiterhin in unsere Infrastruktur investiert wird, mit der Folge, dass unsere Produktions- und Exportkapazitäten steigen.
Wir wissen die Geduld unserer privaten Partner in der Ölbranche sehr zu schätzen, und wir werden auch weiterhin dieses Vertrauen mit unserer Entschlossenheit, unseren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, würdigen.
Wir werden jene, die uns durch diese schwierigen Zeiten geholfen haben, niemals vergessen. Wir werden die Erbringung von Dienstleistungen für unsere Bevölkerung und unsere Unternehmen durch eine Reduzierung von Bürokratie verbessern und Transaktionen transparenter gestalten.
Wir haben in Kurdistan bereits begonnen, Verwaltungstransaktionen e-ready zu machen und im Frühjahr 2016 werden wir unser Regierungsportal für Dienstleistungen für die Bevölkerung Kurdistans und die Unternehmen bekanntgeben.
Durch dieses Portal erhalten Bürger und Unternehmen einen präzisen Einblick, welche Schritte getätigt werden müssen um Regierungsdienste zu erhalten – und da wir diese Transaktionen klar und transparent darstellen wollen, wird Korruption bekämpft und alle Prozesse werden einfacher und schneller vonstattengehen.
Wir werden weiterhin gegen Daesh vorgehen und die Sicherheit und Stabilität Kurdistans garantieren. Mit unseren Partnern im Irak und in der Internationalen Koalition gemeinsam werden wir diese Bedrohung auslöschen und Kurdistan und den Irak zu einem sichereren Ort für Unternehmen machen.
Man sagt, es ist am dunkelsten, kurz bevor die Sonne aufgeht. Und auch wenn viele sie noch nicht sehen können, so kann ich aufrichtig sagen, dass wir die ersten Sonnenstrahlen am Horizont erkennen können.
Der Weg vorwärts wird nicht leicht sein.
Ich möchte hier noch einmal das Volk Kurdistans daran erinnern, dass unsere Vorväter und die Vorväter unserer Vorväter schlimmeren Herausforderungen gegenüberstanden, als wir dies heute tun, und bewältigten diese ohne sich auf jemand verlassen zu können – außer auf sich selbst und die Berge.
Heute kann ich zuversichtlich sagen: Wir haben mehr Freunde, als die Berge. Daher gibt es nur eine Option – den Erfolg. Und gemeinsam werden wir erfolgreich sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.